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Was ich gebe, ist nie genug – ausbeuterische Beziehungen und wie wir uns daraus befreien können

von Iris Maaß

Vom tibetischen Konzept Lenchak lernen, um sich aus ausbeuterischen Beziehungen zu befreien

Energieverlust durch toxische beziehungen stoppen

Ungesunde Beziehungen lassen uns energetisch ausbluten, aber wir können ihnen durch mitfühlende Wertschätzung und Loslassen ein Ende bereiten. 

 

Von anderen Kulturen lernen.

In uns fremden Kulturräumen existieren oft wahre Schätze an Begriffen und Konzepten, für die wir in unserer eigenen Kultur noch keine richtige Sprache gefunden haben. Durch die Beschäftigung mit deren Vorstellungen können wir einen ganz anderen und Zugang zu Lösungen für bestimmte Probleme finden. Endlich gibt es eine Sprache, die beschreibt, wie es auch für uns ist. Ein Konzept aus der tibetischen Kultur über ausbeuterische Beziehungen, möchte ich mit Dir teilen. Es kann Dir vielleicht helfen auslaugende Beziehungen zu identifizieren und zu wandeln. 

Das tibetische Konzept des Lenchak bezeichnet ungute emotionale Abhängigkeit in Beziehungen

 Im Tibetischen gibt es den Begriff „Lenchak“, der eine ungute Dynamik gegenseitiger Abhängigkeit in Beziehungen beschreibt. Über den buddhistischen Mönch Dzigar Kongtrul Rinpoche  und seine Texte erfuhr ich von diesem interessanten Konzept, dass uns helfen kann, ausbeuterische Beziehungen zu vermeiden.

 

Lenchak wird mit "karmischer Schuld" übersetzt. Len bedeutet "Zeit" oder "Ereignis", während chak sich auf "Anhaftung", "Anziehung" mit ungesunder Ausprägung zu jemandem bezieht. Lenchak bedeutet, dass wir uns in einer anhaftenden Anziehung zu jemandem befinden, die und uns einem vergangenen Leben wieder einholt und daher zu einem gewissen Maß unerklärlich scheint. Es handelt sich also um eine Art Karma, das durch Gewohnheit stark im eigenen Leben verankert wird. Der Begriff „Lenchak“ wird in Tibet verwendet, um zu erklären oder zu beschreiben, warum eine bestimmte Beziehung so ist, wie sie ist.

 

Vielleicht ist die Vorstellung von vergangenen Leben für Dich nicht zutreffend, doch ich bin sicher, jede kennt schwierige Beziehungen in ihrem Leben, die durch eine klebrige Anhaftung und beständige, unterschwellige Erwartung zusammengehalten werden.

 

Einerseits empfinden wir Liebe und Fürsorge für diese Menschen, aber gleichzeitig ist die Beziehung nicht so voll reiner Liebe wie es klingt. Wenn wir die entsprechende Person sehen oder an sie denken, fühlen wir vielleicht einen Stich im Herzen oder ein ungutes Gefühl in der Magengegend.

 

Bei Menschen, die uns nahestehen und mit denen wir eine starke Dynamik teilen, wie z. B. unseren Eltern, Geschwister, Kindern, Ehepartner oder engen Freunden, ist das oft besonders ausgeprägt. Diese wichtigen Beziehungen wecken viele Erwartungen von beiden Seiten. Es gibt viele unausgesprochene Forderungen. Mitten in unserer Beziehung, Ehe oder Elternschaft fühlen wir uns für die Einsamkeit und den emotionalen oder körperlichen Schmerz eines anderen Menschen verantwortlich.

Das tibetische Märchen von den Robben und den Eulen

Ein tibetisches Märchen erzählt von einem See, an dem jedem Monat bei Vollmond die dort lebenden Robben Fische in ihren Mäulern sammeln und sie den Schwärmen von Eulen anbieten, die in den Bäumen um den See leben und darauf warten, die Fische zu fressen.

 

Die Eulen erwarten, den Fisch von den Robben zu bekommen. Einen ersichtlichen Grund dafür gibt es nicht. In der Geschichte heisst es, dass die Robben nichts davon haben, wenn sie den Fisch anbieten, und auch dass die Eulen nie satt sind. Da es also keinen offensichtlichen Grund für diese Dynamik gibt, nennt man sie „Lenchak“.

 

Märchen Robben und Eulen - tibetisches Lenchak für verstrickte Beziehungen

Die zwei Seiten der unguten Beziehungsdynamik

Die Lenchak-Dynamik hat zwei Seiten: die Robbenseite und die Eulenseite. Als Robbe fühlen wir eine unausgesprochene emotionale Verantwortung für das Wohlergehen einer anderen Person. Wir fühlen uns zu dieser Person hingezogen und für sie verantwortlich, als ob sie einen Anspruch auf uns hätte. Das ist eine starke körperliche Erfahrung, die sich bis in unsere Eingeweide niederschlägt. Das Telefon klingelt und wir überprüfen die Anrufer-ID. Es ist "die Eule“ und wir werden von einer starken Welle der negativen Emotionen überwältigt, trotzdem gehen wir ran und stellen uns den Erwartungen. Wir wissen schon, dass es immer um ein Problem oder eine emotionale Notlage geht. So sehr wir uns auch von dieser Person lösen wollen, wir können uns nicht losreißen; es ist, als ob sie uns gefangen genommen hat und es kein Entkommen gibt.

 

In echt ist das natürlich nicht der Fall, denn wir haben ja immer die Wahl, ob wir uns einer Person ausliefern. Auch wenn es sich um eine nahen Verwandten handelt, sind wir trotzdem frei in unserer Entscheidung, ob wir uns ihm oder ihr zuwenden oder nicht. Was uns an der Ausübung dieser Wahlfreiheit hindert, ist unsere eigene Anhänglichkeit, unsere Schuldgefühlen und unserer Unfähigkeit, dem geäußerten Leid und dem Wunsch der Person, dass wir ihr helfen, zu widerstehen. Einerseits können wir es nicht ertragen, die Eule leiden und hungern zu sehen. Auf der anderen Seite können wir nicht davon loslassen, dass wir dafür verantwortlich sind, diesen Hunger zu stillen. Diese Dynamik zieht uns runter und lässt uns unser inneres Strahlen verlieren. Mit der Zeit werden wir immer grauer und trüber und verlassen unseren Weg hin zu unserem authentischen Selbst und unserem höheren Auftrag, den wir für unser Leben erfüllen sollen und wollen. 

Die Bedürftigkeit der Eule ist wie ein Fass ohne Boden

Auf der anderen Seite der Beziehung steht die Eule, die nie zufrieden ist, egal wie viele Fische die Robbe ihr anbietet. Wenn wir selbst die Eule sind, sehen wir das natürlich nicht so. Wir fühlen uns vernachlässigt, isoliert, schwach und völlig unverstanden. Der Grund dafür ist, dass wir hoffen, dass der oder die andere mit unseren Ängsten fertig wird oder sie wenigstens lindert. Die andere soll uns verstehen und uns versichern, dass alles so in Ordnung ist, wie wir es haben wollen.

 

Eulen haben viele unausgesprochene Forderungen und drücken diese oft auf eine sanftmütige und bedürftige Weise aus wie in einem kindlichen Zustand. Als Eule fragen wir uns, ob wir die Dinge aus eigener Kraft schaffen können. Wir verlieren das Vertrauen in unsere Fähigkeit, unserem Verstand und unseren Gefühlen angemessen zu begegnen und unser Glück selbst in die Hand zu nehmen. 

In der Schwäche liegt die Macht andere nach eigenen Bedürfnissen zu manipulieren

 

Interessanterweise ist die Eule - so zerbrechlich, bedürftig und unsicher - nicht unbedingt so schwach, wie sie zu sein scheint. Im Gegenteil, die Eule hat die Oberhand. Sie ist ein wenig manipulativ. Die Eule will nur nicht die Verantwortung für sich selbst übernehmen und vor der eigenen Haustüre kehren. Das ist eine privilegierte Einstellung. Wenn die Eule es sich nicht leisten könnte, schwach zu sein - wenn sie die Robbe nicht hätte - würde sie sich natürlich ihren eigenen Herausforderungen stellen.

Der Teufelskreis ausbeuterischer Beziehungen führt zu einer Verschlechterung des gegenseitigen Respekts

Der Teufelskreis dieser Dynamik ist, dass die Eule in den meisten Fällen umso nachtragender, fordernder und unzufriedener wird, je mehr Fische die Robbe ihr anbietet. Sowohl für die Robbe als auch für die Eule führt diese Art von Abhängigkeit und Erwartung zu einer verschlechternden Dynamik.

 

Bei der Arbeit müssen wir vielleicht unsere Zunge im Zaum halten und schlucken, was unser Chef sagt, aber bei unseren Lieben gibt es kein Zurückhalten. Wir lassen unsere Deckung fallen und erlauben uns, hässlich gegenüber dem Menschen zu werden, mit dem wir verstrickt sind.

 

Die Robbe mag die Eule vorübergehend durch Fische besänftigen, aber aus dieser Art von Vereinbarung entsteht kein gegenseitiger Respekt. Und ist es nicht in Wahrheit der Respekt, den wir am meisten wollen? Jede wünscht sich Liebe und Fürsorge, aber noch mehr als das wünschen sich die Menschen Respekt für das, was sie sind. Selbst ein Feind kann einen anderen Feind respektieren. Darin liegt die Basis der Menschenwürde

In einer ausbeuterischen Beziehung geht der Respekt Schritt für Schritt verloren

Die Unterscheidung zwischen Liebe und Lenchak muss sorgfältig geprüft werden.

Gefühle von Liebe und Fürsorge sollten ganz natürlich entstehen und nicht das Produkt von Druck und Forderungen sein. Denn dann ist es strenggenommen keine wirkliche Liebe.

 

 

Wenn wir Lenchak mit Liebe verwechseln, befürchten wir, dass unsere Beziehung ohne die Lenchak-Dynamik völlig auseinanderfällt.

 

Was gibt es jenseits all der Verpflichtungen und Anforderungen, denen wir versuchen, gerecht zu werden? Liebe und Fürsorge für andere erwärmen das Herz und machen uns großzügig und großzügig. Lenchak bringt eher Unsicherheit, Ressentiments und das Gefühl, dass wir unserem eigenen Leben und seinen Herausforderungen nicht gewachsen sind oder dass wir nicht damit umgehen können, wenn andere Schmerzen haben. Dabei trauen wir ihnen nicht zu, dass sie auch ihr eigenes Leben meistern können. Lenchak fühlt sich klebrig an, wie Pech, dass uns an die andere Person anklebt.

Als Robbe gilt es die Eigenverantwortung des anderen annehmen und den Teufelskreis zu durchbrechen

So wie eine Mutter ihr Kind ermutigen muss, seine eigenen Gehversuche zu unternehmen und dabei auch in Kauf nimmt, dass das Kind hinfällt und weint, so müssen wir in allen Beziehungen die Eigenverantwortung des anderen annehmen und stärken. Als Eltern ist uns diese Verantwortung für die Erziehung zur Eigenständigkeit in besonderem Maße bewusst.

 

Aber auch in anderen Beziehungen, ist der klare Blick für das, was unsere Gegenüber selbst zu verantworten hat, von größter Wichtigkeit. Wir müssen das Altern und die Schwäche unserer Eltern akzeptieren und den Rückzug, den sie vom Leben ab einem gewissen Punkt einleiten. Wir müssen die depressive Freundin oder die problematische Situation unserer Schwester oder unseres Bruders akzeptieren und darauf vertrauen, dass diese als eigenständige Menschen, der Verantwortung für sich selbst nachkommen und sich auf die Suche nach einer Lösung für ihre Situation machen. Im Zweifelsfall kann dies auch über den Umweg von Unglück oder Scheitern geschehen und wir müssen diese Umwege ertragen ohne uns verantwortlich zu fühlen und einzugreifen.

Wie man mit Hindernissen, die einen selbst oder einen nahestehenden Menschen betreffen, umgehen kann

Wenn Herausforderungen oder Hindernisse auf uns zukommen, sollten wir uns nicht so sehr einschüchtern lassen. Wir können eine flexible Sichtweise kultivieren und sagen: "Ja, es ist ein Hindernis, aber es ist nicht an sich schlecht; es wird mich nicht zerstören."

 

Es ist hilfreich, eine Beziehung zu dem Hindernis aufzubauen, etwas darüber zu lernen und es schließlich zu überwinden. Das gibt uns die Chance, Weisheit und Geschicklichkeit zu kultivieren. Es gibt uns Zuversicht und die Freude der Selbstwirksamkeit, wenn wir es überwunden haben.

 

Wir können nicht alle Herausforderungen oder Hindernisse im Leben beseitigen - weder bei uns noch bei anderen. Wir können nur lernen, uns der Situation zu stellen. Und sofern das Hindernis die oder den anderen betrifft, können wir mitfühlen sein und die Verantwortung trotzdem bei ihm oder ihr belassen.

Wie eine Eule lernen kann mehr Verantwortung für sich zu übernehmen

Die große Täuschung des Lenchak für die Eule ist, dass sie gar nicht auf die Idee kommt, dass ihr Leiden ihr eigenes ist. Sie erwartet automatisch, dass andere daran teilhaben oder es auf sich nehmen sollten. Auf diese Weise hindert Lenchak Menschen daran, die Verantwortung für ihr Leben zu übernehmen. Natürlich gibt es Zeiten, in denen wir andere um Mitleid ersuchen. Wenn wir gefragt werden: "Wie geht es dir?", lassen wir unsere ganze Geschichte Revue passieren. Wir sagen dann: "Mir geht es gut, aber...". Wir haben das Bedürfnis, alles zu erzählen. Am Ende des Gesprächs kennen die anderen alle unsere Sorgen und Nöte. Wir schaffen es einfach nicht, den Prozess aus eigener Kraft zu bewältigen.

 

Aber müssen wir wirklich so glasklar gegenüber anderen sein? Wollen die wirklich diese Art von Ehrlichkeit? Die Menschen können oft nicht mit all den Details und der Verwirrung in ihrem eigenen Leben umgehen, geschweige denn mit den Problemen im Leben anderer. Man kann davon ausgehen, dass sie genauso wie wir emotionale Höhen und Tiefen und unangenehme körperliche Empfindungen haben. Was können sie für uns tun? Wenn wir ehrlich sind, haben sie meist keinen Einfluss auf die Umstände, die uns bedrücken. Manchmal mag es eine erleichterne Funktion haben, wenn wir uns einmal „auskotzen“ können, aber auf die Dauer wird dies zur Belastung für unsere Mitmenschen.

Der tibetische Buddhismus setzt auf ein grundlegendes Gefühl der Stärk und des Wohlbefindens, um bei sich zu sein ohne andere unangemessen zu belasten

Manche fühlen sich unehrlich, wenn sie auf die Frage wie es Ihnen geht mit „gut“ antworten, aber in Wirklichkeit Probleme haben. Im Buddhismus geht es jedoch darum, ein grundlegendes Gefühl der Stärke und des Wohlbefindens zu entwickeln. Aus der buddhistischen Sicht ist es besser, den Geist stark zu machen, als mit all den flüchtigen Emotionen und körperlichen Empfindungen nachzugeben, die wir im Laufe des Tages erleben.

 

Welchen Sinn hat es, ehrlich über flüchtige Gefühle und Missempfindungen zu sein, die sich beständig ändern? Wenn das Wohlbefinden stark von den eigenen Gefühlen und körperlichen Empfindungen abhängt, wirst es kaum Gelegenheit geben zu sagen: "Mir geht es gut." Wenn eine Buddhistin gefragt wird, wie es ihr geht, sagt sie meist: "Gut!" Dies kann uns ein Vorbild sein. Am Anfang müssen wir uns vielleicht noch etwas dazu überwinden, aber bald glauben wir es selbst. Fake it until you make it, heißt es so schön. Du wirst sehen, dass die Leute sich mehr zu dir hingezogen fühlen. Sie werden nicht mehr dieses subtile Ablehnungsgefühl spüren, wenn sie dich kommen sehen. Und sie werden weniger zögern, dich zu fragen, wie es dir geht!

Unentdecktes Lenchak kann unsere Lebensenergie fast vollständig aufzehren

Buddhistische Mönche und Nonnen kennen die Folgen und Fallstricke von Lenchak und schützen deshalb ihre Unabhängigkeit mit aller Kraft. Sie sind klug, wenn es darum geht, mit anderen zusammenzuarbeiten, denn sie wissen, dass es ihre Zeit und ihre Herzensenergie auffrisst, wenn sie der Lenchak-Dynamik zum Opfer fallen, egal ob es sich um ihre Schüler/innen, Eltern, Familie oder wen auch immer handelt. Lenchak ist keine geeignete Grundlage, um anderen wahrhaft zu helfen. Am Ende würden sie ein völlig anderes Leben führen als das spirituelle Leben, das sie eigentlich anstreben.

 

Dies trifft auch auf uns zu. Wenn wir zulassen, dass Lenchak uns ganz in seinen Bann zieht, dann geben wir uns Schritt für Schritt auf. Unsere Energie wird von der Beziehungsverstrickung aufgesogen und irgendwann ist nichts mehr übrig für uns und für unser Leben, das wir uns eigentlich so vorgestellt hatten. Wenn Du feststellst, dass Du für nichts mehr Energie aufbringen kannst, dass Du immer weniger Freude und Lust an Dingen emfpindest, die Dir früher aber wichtig waren, dann achte darauf, ob sich vielleicht eine Lenchakdynamik in Deinem Leben eingeschlichen hat.

Wir müssen nicht ab sofort alle wie Nonnen und Mönche leben

Um emotional nicht zu verstrickt zu werden, halten sich Nonnen und Mönche auch anderer Glaubensrichtungen von den gesellschaftlichen Anforderungen fern und führen ein einfaches, oft zölibatäres Leben.

 

Für uns Normalsterbliche ist das meist weder nicht möglich noch wünschenswert. Wir müssen also nicht ab sofort alle wie Nonnen leben, um die Macht über unsere Energien zu behalten. Aber auch wir können unsere innere Unabhängigkeit von der emotionalen Bedürftigkeit anderer kultivieren und uns beobachten, ob wir bereits in eine klebrige Verstrickung geraten. Wenn wir hier achtsam sind, können wir die Gefahr erkennen und ihr rechtzeitig entgegenwirken und uns entziehen.

 

Dies bedeutet nicht, gleichgültiger gegen andere zu werden oder unsere Familienbande abzuschwächen.  Wir können Mitfühlen kultivieren und uns für die Aufklärung über wichtige Zusammenhänge einsetzen und im Alltag verankert sein.

 

Im Buddhismus sind Weisheit und Mitgefühl die beiden Komponenten von Bodhicitta. Wenn wir beginnen, das natürliche Potenzial und die Stärke des Geistes zu entdecken, kultivieren wir Weisheit. Es bedeutet einfach, dass wir uns weigern, dem Lenchak nachzugeben, weil wir sehen, dass es uns und dem anderen nicht dient. Wir erkennen Lenchak und können einfach „nein" sagen!

 

Du kannst es als eine Form von zivilem Ungehorsam sehen - eine gewaltfreie Vorgehensweise, bei der wir uns weigern, unserer eigenen Ignoranz und der der anderen zu erliegen. Wenn wir uns nicht von der Eule am Nasenring führen lassen und wenn wir darauf verzichten, die Robbe beständig um Fisch zu bitten, haben wir keinen Grund mehr, anderen etwas übel zu nehmen. Mit einem Geist, der frei von Lenchak ist, haben wir viel Raum, um unser Herz zu erweitern und das zu tun, was unsere wirkliche Aufgabe ist. So kann die Weisheit uns schützen, damit wir weich und fürsorglich sein können. Im Buddhismus wird dieser Prozess als "der Weg des Bodhisattvas" bezeichnet.

Auf dem Weg des Bodhisattvas stellen wir uns den Herausforderungen unseres Lebens

In den elementaren Texten des Buddhismus, den Sutren, heißt es, dass ein Bodhisattva wie ein Lotus ist. Der Lotos ist hier ein Symbol. Die Wurzel dieser in Asien so beliebten Pflanze reicht ins schlammige, dreckige Wasser, während die Blüte über diesem Schlamm schwimmt und rein, schön und vollkommen ist.

 

So wie der Lotus im Schlamm wurzelt, begibt sich ein Bodhisattva in die Welt der Verwirrung und bewirkt gleichzeitig Gutes für seine Mitwelt, trotzdem lässt sie sich nicht vor den Karren von anderen Bedürfnissen spannen. Er bleibt damit über Wasser und bringt die schöne Blüte hervor.

 

Wie kommt es, dass ein Bodhisattva über Wasser bleibt, ohne im schlammigen Wasser der Verwirrung zu versinken? Das liegt an der Weisheit, zu erkennen, wann unser Geist uns dient oder wann wir uns in einem verwirrten oder ängstlichen Zustand befinden. Diese Art von Klarheit mag uns noch weit entfernt erscheinen, aber alles beginnt damit, dass wir uns den Herausforderungen unseres Lebens und unserem Verstand stellen. Wir müssen uns klar darüber sein, was unsere Ziele sind und die Entschlossenheit finden, diese in unserem Leben umzusetzen. Dies ist unweigerlich mit einiger innerer Arbeit verbunden und zieht entsprechende Konsequenzen im äußeren Miteinander nach sich. 

 

Bei Machen und Wachsen setzen wir darauf, die Beziehung zu unseren inneren Ressourcen freizulegen und zu pflegen. Eine wichtige innere Verbündete ist unser weises Selbst. Diese Figur aus Deinem inneren Team steht Dir immer zur Verfügung und kann von Dir zu Rate gezogen werden, wenn Du Dir klar werden willst und Kraft aus Dir schöpfen musst, um Deine Ziele entschlossen anzugehen.

Uns aus der Klebrigkeit ausbeuterischer Verhältnisse zu lösen bringt uns wohltuende Freiheit

Doch wenn wir erst einmal merken, wie gut uns die Freiheit tut, die mit der Unabhängigkeit kommt, wird es leichter. Wir erkennen, wie viel wir durch unser verzweifeltes Festhalten an Lebensqualität verloren haben, und wir wissen, wie viel wir gewinnen können, wenn wir uns aus der Klebrigkeit lösen. Die wertvollsten Qualitäten dabei sind nach tibetischer Auffassung: unser gutes Herz, unsere innere Weisheit und unser Mitgefühl für andere. Das weise Selbst, das wir im Team unserer inneren Persönlichkeitsanteile identifizieren, kann uns dabei wertvolle Hilfe leisten. 

Dzigar Kongtrul Rinpoche, dem ich die Kenntnis von Lenchak verdanke, ist Autor und Gründer von Mangala Shri Bhuti, einer Organisation der Longchen Nyingtik Linie des tibetischen Buddhismus.

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Kommentare: 2
  • #1

    Jutta (Freitag, 10 März 2023 12:09)

    Dein Artikel, liebe Iris, hat mich sehr berührt, habe ich mich selbst vor 10 Jahren aus einer ausbeuterischen Partnerschaft gelöst, ich fühlte
    mich sehr ausgelaugt, habe aber mein Herz und mein Selbst/ mein Ich gerettet. Derzeit steckt eine Freundin in einer ausbeuterischen Situation, auch noch nach der Trennung, steht sie unter „Eulen“-Einfluss, sehr verunsichert, ängstlich… ich gebe ihr Lenchak Info! .. in der Psychologie erinnert mich das an orale Kollusion von Jörg Willi�

  • #2

    Iris (Sonntag, 12 März 2023 10:43)

    Liebe Jutta, vielen Dank für Deine zugewandte Rückmeldung. Den Hinweis auf die orale Kollusion nehme ich dankbar entgegen und werde mir das nochmals anlesen. Ich wünsche Dir und Deiner Freundin alles Gute.